Birgit Seidl, Zentralbetriebsratsvorsitzende Tirol Kliniken
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22.2.2024

Birgit Seidl: "Das Pflegesystem steht nach wie vor auf der Kippe"

Die Zentralbetriebsratsvorsitzende der Tirol Kliniken, Birgit Seidl, findet im Interview klare Worte: Der Mangel an Pflegekräften wird sich auch mit mehr Ausbildung kaum beheben lassen. Die Gehaltssysteme müssen übergreifend evaluiert und neue Möglichkeiten angedacht werden. Denn nach wie vor steht das Pflegesystem auf der Kippe.

Mitte Februar wurden die neuen Zahlen zur Pflegebedarfsprognose 2050 veröffentlicht, die keine wirklich rosige Zukunft versprechen. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Hauptprobleme, warum man den Pflegenotstand nicht in den Griff bekommt?
Birgit Seidl: Man bildet zwar viel aus, das Problem ist allerdings, dass die Löcher, die sich in den letzten Jahrzehnten aufgetan haben, enorm groß sind. Deshalb stellt sich die Frage, ob das die richtige Strategie ist und ob wir überhaupt soviel Personal ausbilden können, wie wir bräuchten.

ZITIERT

"Man bildet zwar viel aus, das Problem ist allerdings, dass die Löcher, die sich in den letzten Jahrzehnten aufgetan haben, enorm groß sind.“

Birgit Seidl,
Zentralbetriebsratsvorsitzende Tirol Kliniken

"Wenn im Bereich der
Gehaltssysteme nichts
passiert, verlieren
wir den Anschluss an
andere Bundesländer."

Birgit Seidl,
Vorsitzende 
Zentralbetriebsrat 
Tirol Kliniken

In welchen Bereichen gibt es derzeit die größten Löcher?
Es gibt Löcher im stationären Bereich, in den Kliniken, in der ambulanten Betreuung, in den Heimen, überall. Neben der Ausbildungsoffensive stellt sich letztlich auch die Frage, wie in Zukunft Krankenanstalten organisiert werden sollen. Hier eine Antwort zu finden, ist ganz entscheidend.

Warum?
Man muss bedenken, dass derzeit 32 Prozent der in der Pflege Tätigen zwischen 51 und 60 Jahre alt sind. Das heißt, wir haben jetzt schon zu wenig Personal, und in zehn Jahren werden uns dann 32 Prozent an Personal zusätzlich fehlen. So schnell kann man nicht ausbilden, um das zu kompensieren. Ich will nicht in Abrede stellen, dass viel ausgebildet wird. Aber trotz dieser Ausbildung wird das Loch angesichts solcher Zahlen nicht kleiner werden. Außerdem muss man sich die Frage stellen, ob alle, die im Pflegebereich ausgebildet werden, auch tätig bleiben. Nehmen wir die Diplompflege: Habe ich erst den Bachelor schaue ich mir noch andere Berufsbilder an bzw. ist das überhaupt der Beruf, den ich ausüben möchte? Im Vergleich zur Vergangeheit ist die Fluktuation aus der Pflege größer.

Wie soll die Zukunft der Pflege aussehen?
Man muss erheben, welche personellen Ressourcen zur Verfügung stehen, wie diese eingesetzt werden und welche Strukturen wir im Pflegebereich haben. Dann müssen wir uns fragen, wie die Gesundheitsversorgung aussehen soll und was für eine gute Versorgung notwendig ist. Auf Basis dieser Erhebung muss eine neue Pflegestrategie erarbeitet werden, denn derzeit ist das Frus-trationslevel im Pflegebereich enorm hoch. Die Qualität der Pflege darf aber auf keinen Fall sinken.

Was bedeutet das für die Tirol Kliniken?
Bei den Tirol Kliniken heißt das konkret, dass wir einige Bereiche gut aufstellen können, andere wiederum nicht. Deshalb braucht es hier dringend Konzepte. Es ist nach wie vor so, dass aufgrund des Personalmangels die Belastung teilweise enorm ist. Das trägt nicht gerade zur Attraktivität eines Berufs bei, wenn ich z. B. am Morgen schon erfahre, dass die Pausen aufgrund von zu viel Arbeit gestrichen sind.

Gibt es dazu Ihrerseits Überlegungen, wie diesem Dilemma entgegengewirkt werden kann?

Die gibt es natürlich. Es sollte meiner Meinung nach etwa erhoben werden, warum Beschäftigte niedrigprozentig in Teilzeit arbeiten. Das hat ja Gründe, meist aufgrund von Überbelastung. Kenne ich die Gründe, kann man gezielt Strategien entwickeln, um die Teilzeitquote zu verringern. Das würde uns enorm weiterhelfen.

Kritisiert wird ja auch seit Langem das Gehaltssystem. Gibt es hier Bewegung?
Das Gehaltssystem wird seit Anfang dieses Jahres evaluiert. Von unserer Seite ist klar kommuniziert, dass das Gehaltssystem über alle Berufsgruppen evaluiert werden muss, da es – egal ob Gesundheits-, Verwaltungs- oder Betriebspersonal – ineinandergreift. Haben wir etwa keinen Lohnverrechner mehr, weil er in die Privatwirtschaft wechselt, hat auch das Gesundheitspersonal nichts davon. Alle Systeme müssen evaluiert werden, nur jetzt wurde uns gesagt, dass das Betriebs- und Verwaltungspersonal ausgespart wird, womit wir von einer tragbaren Lösung wieder weit entfernt sind.
Als Zentralbetriebsratsvorsitzende muss ich sagen, dass wir diese Vorgehensweise nicht mittragen. Es gab von uns aus diesem Grund auch ein Schreiben an das Land, in dem wir fordern, alle Gehaltsgruppen zu evaluieren, ich hoffe, das zeigt Wirkung, bin aber nur gedämpft optimistisch. Zumal es eine Reihe von Berufen gibt, die sich erst in den letzten zehn Jahren entwickelt haben und die wiederum ausgeklammert werden. Hinzukommt, dass das Gemeindebedienstetengesetz, das parallel zum Landesbedienstentengesetz abgebildet wird, noch das alte Gehaltschema im Verwaltungsbereich benutzt und somit Berufe, die nur schwer zu besetzen sind, mittels Zulagen attraktiver macht. Wir im neuen Gehaltsschema haben nicht die Möglichkeit von Zulagen, deshalb ist das eine deutliche Wettbewerbsverzerrung, die man so nicht akzeptieren kann.

Worin liegt das Problem, dass die Gehaltsschemata nicht übergreifend evaluiert werden?
Das Problem liegt darin, dass das Land die Evaluierung beider Systeme weniger will, da das Land dann mitinvolviert wäre. Das Gesundheitsschema betrifft das Amt der Tiroler Landesregierung kaum, wohl aber die Verwaltung. Und hier ist das Land säumig, das ist ein wunder Punkt, weil es hier natürlich wieder um Geld geht. Hier würde ich mir vom Finanzreferenten ein deutliches Signal erwarten, das die Pflege stärken würde, wie in anderen Bundesländern. Wenn hier nichts passiert, werden wir auch den Anschluss an andere Bundesländer versäumen und Mitarbeiter:innen verlieren. Und das nicht nur im Gesundheitsbereich, sondern eben auch beim Betriebs- und Verwaltungspersonal. Das Ganze darf aber auf keinen Fall eine einseitige Bewegung werden, von der nur die „großen Fische“ profitieren, während im unteren Bereich, egal ob Gesundheits- oder Verwaltungsschema, die Teuerung voll durchgeschlagen hat. Da wissen viele nicht, wie sie über die Runden kommen sollen, während die Arbeit mehr wird, bleibt der Lohn gleich, das wird sich auf Dauer nicht ausgehen.

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